Erleuchtung ist das große Ziel der meisten nicht-monotheistischen Religionen und so ziemlich aller modernen spirituellen Strömungen. Manchmal wird der Begriff „Erwachen“ davon differenziert, manche sprechen von lieber von „Verwirklichung“.
Und ein heilloses Gewirr von verschiedensten Konzepten findet man zu diesen Themen in tausenden Büchern, alten wie neuen. Zwei der wichtigsten Erleuchtungsideen möchte ich gerne kurz vorstellen, die erste nenne ich “die Unerreichbare”, die zweite das “abgespaltene Erwachen”.
Die Unerreichbare
Eins der bekanntesten Konzepte ist das des Buddha in der südlichen Tradition des Buddhismus. (Die meisten Yoga-Traditionen und buddhistischen Schulen verfolgen ein ähnliches Muster.) Am Ende eines unfassbar langen Weges wartet das Nibbana, gekennzeichnet durch das Ausgelöscht-Sein aller Unwissenheit, allen Begehrens und aller Aversion. Für die meisten von uns ist dieses Ziel unerreichbar, als Laie ist man ganz von dieser Möglichkeit ausgeschlossen. Nur ein paar wenigen älteren Mönchen in Thailand und Myanmar wird nachgesagt, dass sie diesen Zustand tatsächlich realisiert haben.
Mir kommt dazu das Bild eines Hasen in den Sinn, vor den eine Karotte gespannt ist. Wir können uns anstrengen, wie wir wollen, kommen aber niemals an. Bis zum Eintreten dieser Erleuchtung müssen wir mit diesem Mangel leben, das Wesentliche des Daseins noch nicht erfahren zu haben. Wenn dieses Mangelerleben in dem einzelnen Menschen auch noch auf einen geringen Selbstwert trifft, habe wir schnell eine self-fullfilling Prophesy: die Empfindung des Lebens als leidhaft wird noch verstärkt, ein wenig gelindert werden kann diese vielleicht durch Kontakt zu dem einen oder anderen aufs Podest gehobenen tatsächlich Erleuchteten.
Abgespaltenes Erwachen
Dann gibt es eine moderne, ans indische Advaita Vedanta angelehnte und im Gegensatz dazu sehr einfach zu erreichende Form wie sie in “Satsang“ genannten Veranstaltungen durch die Präsenz eines vermeintlich erwachten Lehrers ermöglicht wird. Da geht es darum, die Einsicht zu vermitteln, dass man das, was man sucht, bereits ist. Dass im Außen nichts zu finden, nichts zu erreichen ist und man stattdessen durch das radikale Aufgeben allen Suchens in einer Gegenwärtigkeit ankommt, die jenseits von Zeit und Raum ist, identisch mit dem erwachten Zustand.
Manchmal wird auch die Identifizierung mit dem Bewusstsein selbst anstatt mit den vergänglichen Objekten wie dem Denken oder Fühlen als Erwachen bezeichnet.
Vieles davon können sehr wertvolle und inspirierende Erfahrungen sein, wenn man jedoch Konzepte von „Erwachen“ oder „Erleuchtung“ darauf klebt, wird es schnell kompliziert.
Meist findet, sobald die Erfahrung vorbei ist, eine unbemerkte Identifikation mit dem “erwachten Zustand” statt, man möchte diesen innerlich aufrechterhalten und verdrängt jeden Zweifel daran, spaltet möglicherweise alle diesem Selbstbild widersprechenden Emotionen ab. Leicht kann dies zu einer Selbstzufriedenheit führen, die tatsächliche Probleme bagatellisiert oder als “Illusion” abtut und so eher zur Getrenntheit von anderen als zu tatsächlicher Nähe führt.
Eine Alternative
Ich persönlich habe diese beiden Erleuchtungs-Möglichkeiten ebenso wie alle zwischen diesen Extremen liegenden Alternativen im Wesentlichen abgehakt.
Stattdessen habe ich mich entschieden für ein Leben ganz ohne Erleuchtung. Ohne die Überzeugung, dass irgendwann ein unvergänglicher Zustand erreicht werden kann. Ganz einfach alle Konzepte von Erleuchtung zu verabschieden. Nichts weiter daraus zu machen, auch wenn ich zwei Tage in einem Zustand eines seligen Eins-seins war. Erlauben, dass es einfach wieder vorbei ist und ich keine Ahnung habe, was als nächstes kommt.
Einfach nicht wissen. Offen sein. Nichts weiter.
Das ist vielleicht nicht wirklich einfach. Es erfordert etwas Mut, und die Unsicherheit kann schwer auszuhalten sein. Und ich will auch niemandem versprechen, dass es das wert ist. Aber wer genug hat von all den Erleuchtungs- oder Heilsversprechen in all den Büchern, dem würde ich gerne vermitteln, dass man bewusst ganz ohne all das leben kann und dies auch einigermaßen glücklich. Und frei.
Sen T’san, der dritte Zen Patriarch, hat in seinem berühmten Text die Passage:
“Es ist nicht notwendig, sich anzustrengen bei der Suche nach der Wahrheit. Hör einfach auf, Meinungen zu hegen”.
Das Aufgeben von Meinungen, bzw. Konzepten bezüglich Erleuchtung und Erwachen halte ich hierbei für einen wesentlichen Schritt.