Erwachen
Wie eine Blase in einem Strom, wie ein Blitz in einer Wolke, oder wie einen Traum: So sollten wir die Welt betrachten empfiehlt der Buddha im Diamant-Sutra.
Und daraus aufzuwachen, also ein Buddha („Erwachter“) zu werden, das ist das große Ziel. Einfach aufzuwachen, wie aus einem schlechten Traum und – so das Versprechen – die Wirklichkeit wird von da an nicht mehr die gleiche sein, das Leben ist transformiert und das Leid ein für alle Mal überwunden.
Das klingt sehr erstrebenswert, und gern sind wir geneigt, das zu glauben. Weil alle normalerweise unbewusst aktiven Muster (Sankharas) dann ausgelöscht sind, gibt es auch, nach der Meinung einiger Buddhisten, nach dem Erwachen keine Träume mehr.
Die meisten von uns kennen zwei verschiedene Erfahrungen beim Aufwachen aus einem Traum: War es ein schlechter Traum, so sind wir erleichtert, dass es nur ein Traum war. Erwachen wir jedoch aus einem guten Traum, in dem wir reich oder erfolgreich waren, sind wir enttäuscht.
Dass das „spirituelle Erwachen“ analog dazu eine große Enttäuschung und nicht nur eine große Erleichterung sein könnte – darauf weisen nur wenige Lehrer hin.
Traumarbeit
Der (historische) Buddha legte keinen Wert auf die Auseinandersetzung mit Träumen. Eher könnte man folgendes Zitat von Albert Ellis, einem der Gründer der kognitiven Verhaltenstherapie, auch dem Buddha zuschreiben: „In der rational-emotiven Psychotherapie wird die Traumdeutung selten verwendet, nicht weil sie kein interessantes und ergiebiges Material über den Patienten zutage fördern, sondern weil der größte Teil dieses Materials nichts zu seiner Heilung beiträgt und der Aufwand an Zeit, Mühe und Geld in keinem Verhältnis zu den erzielten Resultaten steht.“ Wobei man das Wort „Heilung“ beim Buddha durch „Erwachen“ ersetzen müssten.
Beim Buddha sollen alle Phänomene nur im Hinblick auf ihre Vergänglichkeit, Substanzlosigkeit und Leidhaftigkeit betrachtet werden, alles andere sah er als nicht zielführend an. Möglicherweise hätte der Buddha sogar Sympathien mit der neurophysiologischen Sicht gehabt, in der Träume primär als elektrische Entladungen gesehen werden, und bei der die auftretenden Bilder lediglich schmückendes Beiwerk sind.
Dagegen kann ein Weg des Erwachens in manchen Traditionen (wie z.B. im tibetischen Buddhismus) über das Träumen führen, über sogenannte luzide Träume oder Klarträume: In diesen erwacht man im Traum zu der Tatsache, dass man träumt und kann lernen über dieses Bewusstsein das Geschehen zu steuern. Sich im Traum die Frage nach der Wirklichkeit zu stellen, könnte dazu führen,Traum und Wach-Wirklichkeit lediglich als wechselnde Aggregatzustände zu erkennen, und beides gleichermaßen nur als Projektionen des eigenen Geistes zu erleben: Auf diesem Wege könnten wir uns der Leerheit annähern.
Im Reich der Psychoanalyse haben Träume Bedeutungen, sind der „Königsweg des Unbewussten“: Ob sie nun, wie bei Freud primär viel über unterdrückte Triebe oder verborgene Wünsche erzählen oder Pforte sind zum kollektiven Unbewussten wie bei Jung: Wir sollten auf sie hören, sie verstehen und interpretieren lernen auf dem Weg Richtung Heilung oder Ganzheit.
Manche von uns sehen in Träumen Hinweise auf transpersonale oder spirituelle Ebenen, möglicherweise verknüpft mit Erinnerungen an vorherige Leben. Und natürlich spielt der Wunsch nach Deutungen in Richtung Zukunft für viele auch eine Rolle.
Nicht-Wissen
Ich persönlich finde die Auseinandersetzung mit Träumen sowohl spannend als auch heilsam. Sehr gerne betrachte ich dabei die verschiedenen Traumcharaktere als Anteile meines Selbst, die in der Traumhandlung miteinander interagieren und mir so mehr über mein inneres System verraten. Noch lieber begegne ich einem neuen Traum jedoch ganz ohne Vorannahmen. Vielleicht so, wie einem Menschen, den ich noch nicht kenne. Offen und neugierig, bereit eine Beziehung zu ihm aufzubauen und mir etwas erzählen zu lassen. Ihn zu spüren, ihm Raum zu geben, ihn zu fragen. Ihn nicht zu interpretieren. Sonst verrät er mir ungern seine Geheimnisse. Möglicherweise hat er auch keine. Vielleicht ist er doch auch mal nur oberflächliches Verarbeiten des Tagesgeschehens. Sehr hilfreich erscheint es mir dabei, offen zu bleiben für alle Sichtweisen.
Ich glaube, wirklich wichtige Träume erkennt man. Oder besser: erspürt man. Wie bei so vielen Dingen halte ich auch beim Umgang mit Träumen den Zugang zum eigenen „Gespür“, zum Bauchgefühl, zur Intuition für den wesentlichen Schlüssel zu mehr innerer Freiheit.
Die Analogie des Aufwachens aus Träumen mit dem Erwachen zur Wahrheit finde ich auch erwägenswert. Nicht als etwas, an das man glauben soll, sondern als etwas zum Erforschen.